Cover
Title
Versöhner Europas?. Die Rolle katholischer Bischöfe im deutsch-französischen und deutsch-polnischen Versöhnungsprozess (1945–1990)


Author(s)
Pękala, Urszula
Series
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz
Published
Göttingen 2023: Vandenhoeck & Ruprecht
Extent
511 S.
Price
€ 90,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Lucia Scherzberg, Fachrichtung Katholische Theologie, Universität des Saarlandes

Deutsche, französische und polnische katholische Bischöfe als Akteure in den Versöhnungsprozessen ihrer Kirchen, Nationen und Staaten im Zeitraum von 1945 bis 1990 sind das Thema von Urszula Pękalas Studie, die aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt hervorgegangen ist und auch im Open Access zugänglich ist. Im Fokus stehen der Vergleich beider Versöhnungsprozesse (deutsch-französisch bzw. deutsch-polnisch) im europäischen Kontext sowie „die Zusammenhänge religiöser und politischer Faktoren von Versöhnung“ (S. 12). Die Autorin verarbeitet Quellenmaterial in fünf Sprachen aus 25 Archiven in Deutschland, Frankreich und Polen sowie eine umfangreiche Sekundärliteratur. Unter den ausgewählten bischöflichen Akteuren befinden sich zum Beispiel die Kardinäle Döpfner, Höffner, Volk, Hengsbach (BRD) und Bengsch (DDR), Wyszyński, Kominek, Macharski und Wojtyła (Polen), Suhard, Feltin, Decourtray und Lustiger (Frankreich) sowie die Bischöfe Spülbeck, Schaffran (DDR), Théas (Frankreich) und Nossol (Polen).

Im ersten Kapitel arbeitet Pękala anschaulich heraus, dass die Ausgangssituation für alle Bischöfe dieselbe war: der Zweite Weltkrieg und ein gemeinsam geteiltes, relativ schlichtes theologisches Versöhnungsverständnis. Die Kriegserfahrungen und -traumatisierungen sowie die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen wichen dagegen stark voneinander ab. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Polen war ungleich stärker von Kriegsverlusten, Zerstörungen und NS-Terror betroffen als Frankreich. Im Versöhnungsprozess zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich unterstützten sich Kirche und Politik gegenseitig; in Polen wurden kirchliche Versöhnungsinitiativen von der kommunistischen Regierung als Bedrohung wahrgenommen.

Das zweite Kapitel zeichnet ein Profil der bischöflichen Akteure und ihrer Handlungen; es benennt Unterschiede auch innerhalb der nationalen Bischofskonferenzen. Ausgewählte Treffen von Bischöfen werden beschrieben und die Rolle verbindender Heiliger wie der Hl. Hedwig von Schlesien oder Maximilian Kolbes für den Versöhnungsprozess herausgestellt. Auch wenn die Versöhnungsfrage nicht immer im Mittelpunkt stand, hatten die Treffen der Bischöfe fast immer einen Bezug zum Krieg und zur nationalsozialistischen Vergangenheit. Eine besonders wichtige Rolle für die Bischöfe aller drei Nationen spielte das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965), in dessen Rahmen der für den weiteren Prozess zentrale Versöhnungsbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder entstand. Auch Laien-Organisationen wie Pax Christi oder Aktion Sühnezeichen wurden wichtig für die Verständigung unter den Bischöfen.

Im dritten Kapitel wird das theologische und gesellschaftspolitische Versöhnungsverständnis der Bischöfe thematisiert. Dazu gehörte die Überzeugung von der Einheit der Menschheit im Allgemeinen und der (katholischen) Christen im Besonderen. Anfangs zeigten sich Hoffnungen auf eine Restituierung Europas als christliches Abendland, später war eher das Verständnis des Konzils von der Einheit der Menschheit prägend. Weiterhin wurde „Vergebung“ als christliche Notwendigkeit betrachtet. Darin unterschieden sich die Bischöfe nicht wesentlich, wohl aber in der Anwendung dieses Verständnisses auf die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Im weiteren Verlauf des Kapitels diskutiert die Autorin die Frage, wer die Subjekte von Sühne und Versöhnung seien, sowie das Problem eines Mandats für die Bischöfe, Versöhnungsprozesse zu initiieren.

Die Bischöfe sahen sich zwei Adressatengruppen gegenüber: ad extra ihren Mitbrüdern im Nachbarland, ad intra ihren eigenen Landsleuten. Vor allem westdeutsche und polnische Bischöfe mussten ihre Initiativen ad intra verteidigen – die westdeutschen vor allem gegenüber den Vertriebenen, die polnischen gegenüber Menschen, die aufgrund der Kriegs- und Terror-Erfahrungen eine Versöhnung ablehnten. Im deutsch-französischen Verhältnis stellte dies weniger ein Problem dar, abgesehen von den Massakern in Oradour-sur-Glane oder Ascq.1 Hinsichtlich des Verhältnisses von Religion und Politik hielten es deutsche und französische Bischöfe für selbstverständlich, dass ihre Treffen für die bilateralen politischen Prozesse relevant waren. Deutsche und polnische Bischöfe waren sich weniger darüber uneinig, ob die Bischöfe Einfluss im politischen Bereich ausüben durften, sondern wie. Von besonderer Bedeutung war auch die Frage, wer angesichts der Teilung Deutschlands die deutsche katholische Kirche vertreten konnte. Der Versöhnungsbrief der polnischen Bischöfe und die Antwort unterschieden nicht zwischen der Bundesrepublik und der DDR, sondern sprachen von den „deutschen Bischöfen“. Die Bischöfe der DDR gehörten weiterhin der Deutschen Bischofskonferenz an, auch wenn sie an deren Versammlungen nicht teilnehmen konnten. Einerseits gab es durchaus Spannungen hinsichtlich der Beteiligung der DDR-Bischöfe an den Versöhnungsinitiativen, andererseits diente es auch zu deren Schutz vor staatlichen Repressionen, wenn die Deutsche Bischofskonferenz im Namen aller deutschen Bischöfe auftrat (S. 42f., S. 248–251).

Das vierte Kapitel bildet das Herzstück des Buches. Mit den „Geschichtsnarrativen“ der Bischöfe, dem Umgang mit Schuld und Verantwortung sowie den territorialen Konflikten nimmt es den Faden aus Kapitel II.3. wieder auf („Einflussnahmen der Bischöfe auf das jeweilige bilaterale Verhältnis“). Die deutschen Bischöfe sprachen zwar von der Schuld der Deutschen, konstruierten aber gleichzeitig vielfältige Entlastungsnarrative sowohl für das deutsche Volk als auch für die katholische Kirche. Entsprechend kritisierten sie die Entnazifizierung oder intervenierten zugunsten von angeklagten Kriegsverbrechern in Frankreich. Französische Bischöfe entwickelten ebenfalls Entlastungsnarrative hinsichtlich der Kollaboration mit der Vichy-Regierung, etwa die Rede von der résistance spirituelle oder der „Loyalität ohne Unterwerfung“. Hier zeigen sich die Auswirkungen eines Vergebungsverständnisses, das die konsequente Aufarbeitung der Verbrechen nicht explizit thematisierte. Für die polnischen Bischöfe gab es keinen Anlass, solche Narrative zu konstruieren.

Keine Unterschiede zwischen den Bischöfen herrschten hinsichtlich der theologischen Interpretation des Nationalsozialismus als gottlos und als gezielter Verfolger der Kirche. Entsprechend galten die christlichen Opfer als Märtyrer des Glaubens, die in einer christologischen Deutung mit dem sein Leben hingebenden Christus identifiziert wurden. Die damit einhergehende Ausblendung des Antisemitismus wurde später besonders im Konflikt um das Karmelitinnen-Kloster in Auschwitz sichtbar (siehe unten). Bei der Schuldfrage setzte sich auf allen Seiten eine Tendenz zur Universalisierung durch: Die Ursachen für die Verbrechen sah man in der allgemeinen Sündhaftigkeit der Menschen. Hinsichtlich des Umgangs mit Täterschaft und Tatbeteiligung führt die Autorin unter anderem zwei prominente Einzelfälle an: den Fall des für die Erschießung von Zivilisten in Italien (1944) mitverantwortlichen späteren Münchener Weihbischofs Defregger und den des französischen Kollaborateurs und Kriegsverbrechers Touvier, der jahrzehntelang durch hochrangige Kirchenvertreter dem Zugriff der Justiz entzogen wurde.

Als „territoriale Streitfälle“ werden die Saarfrage und die Oder-Neiße-Grenze angesprochen, die in beiden Fällen kirchliche Anliegen tangierten – im ersten Fall die Bestrebungen zur Errichtung eines Saarbistums, die auf den heftigen Widerstand des Trierer Bischofs Bornewasser stießen, sowie die klerikale Einmischung in den Wahlkampf vor der Volksabstimmung 1955. Die Westgrenze Polens erwies sich als größeres Hemmnis für den Versöhnungsprozess. Die westdeutschen Bischöfe sahen sich der Ablehnung aus den Reihen der Vertriebenen gegenüber, während die polnischen dem Druck der Regierung ausgesetzt waren, für neue diözesane Strukturen in den ehemals deutschen Gebieten zu sorgen. Die Autorin schildert diese hochexplosive Lage und die Schwierigkeiten, die Ziele und Probleme der jeweils anderen Seite wahrzunehmen. Anhand von Äußerungen westdeutscher Politiker bzw. polnischer Bischöfe, die im jeweils anderen Land für größte öffentliche Empörung sorgten, wird die Komplexität der Themen deutlich – eine überaus fesselnde Lektüre.

Das fünfte Kapitel zieht die „Querverbindungen“ zwischen beiden Versöhnungsprozessen im europäischen Horizont und beschreibt die Einrichtung des Rats der europäischen Bischofskonferenzen CCEE (ab 1965 bzw. seit der Gründungsversammlung 1971) als multilateraler, Ost und West verbindender Institution. Der letzte Abschnitt thematisiert den langwierigen Konflikt um das Karmelitinnen-Kloster in Auschwitz, in den polnische und französische Bischöfe involviert waren und bei dem eigentlich zum ersten Mal die Shoah und die jüdischen Anliegen in den Blick kamen.

Ein Schlusswort sowie eine chronologische Tabelle aller Begegnungen der Bischöfe und ein Personenglossar zu 104 Bischöfen runden den Band ab. Die besondere Stärke des Werkes liegt in der minutiösen, differenzierten Darstellung der komplexen Materie. Es gelingt der Autorin ausgezeichnet, die verschiedenen Perspektiven, Motivationen und Interessen zu beschreiben, aufgrund von Geschichtsnarrativen oder durch Unkenntnis entstandene Missverständnisse herauszuarbeiten, aber auch kontrovers bleibende Auffassungen stehen zu lassen. Erhellend ist durchgängig die Einordnung der bischöflichen Handlungen in den politischen und gesellschaftlichen Kontext. Besonders spannend sind die Analysen vieler einzelner Ereignisse oder Ereignisfolgen, beispielsweise die Darstellung des Briefwechsels zwischen Döpfner und Wyszyński hinsichtlich der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Umfeld des Warschauer Vertrags (S. 223–226) oder die Aufschlüsselung der Kontroverse um die Predigt Wyszyńskis in Wrocław/Breslau im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der polnischen kirchlichen Verwaltung der ehemals deutschen Gebiete (S. 371–374).

Für die Studie hat Urszula Pękala bewusst einen systematischen und nicht einen chronologischen Aufbau gewählt. So gelingt es ihr, die Fülle des Materials zu sortieren und zu beherrschen. Das Werk gleicht damit einem Fächer, der sich immer weiter öffnet. Dies führt aber auch zu etlichen Wiederholungen. Viele Dokumente, Ereignisse oder Erläuterungen erscheinen in mehreren Kapiteln, allerdings immer unter neuen Gesichtspunkten. Einige Ergebnisse, etwa zum Versöhnungsverständnis, zur wenig ausgeprägten Aufarbeitungsbereitschaft in beiden deutschen Staaten und in Frankreich oder zur langanhaltenden Ausblendung der Shoah, hätten noch einen Platz im Schlusswort finden können. Dieser Hinweis ist aber den Forschungsinteressen der Rezensentin geschuldet und mindert nicht die Qualität der Studie. Die gesamteuropäische, Ost und West verbindende Perspektive und die entsprechende Expertise der Autorin machen das Werk zu einem äußerst wertvollen Beitrag für die Erforschung kirchlicher wie politischer Versöhnungsprozesse. Es bietet darüber hinaus reiches Material und etliche Ansatzpunkte für die Analyse anderer Konfliktsituationen und Aufarbeitungsprozesse.

Anmerkung:
1 Siehe jetzt auch die Urszula Pękala noch nicht vorliegende Studie: Andrea Erkenbrecher, Oradour und die Deutschen. Geschichtsrevisionismus, staatliche Verfolgung, Entschädigungszahlungen und Versöhnungsgesten ab 1949, Berlin 2023.